Fake ist, er ist tot.
Das wisst ihr.
Das wissen eigentlich alle…seit…naja…seit …ihr wisst schon. Ihr habt das Lied alle schon einmal gehört.
Viele glauben, Conny war eigentlich erfunden, aber ich kannte ihn schon seit dem Kindergarten. Er kam aus einer armen Gegend in Essen und hatte irgendwie immer aufgeschürfte Knie und eine laufende Nase. Er war einer von denen, die sich immer durchboxen mussten und das auch taten. Aber im Inneren hatte er ein Herz aus Gold. Wenn man einmal seine Freundschaft erlangt hatte, konnte man mit ihm Pferde stehlen. Conny war einer der Menschen, die immer einen großen Platz in meinem Herzen hatten und auch heute noch haben.
Wir wuchsen zusammen auf, spielten in Hinterhöfen, bauten Buden am Bahndamm und prügelten uns mit den Kindern aus der Südstadt. Und als wir älter wurden, rauchten wir m Bahnhof heimlich die erste Zigarette und trösteten uns gegenseitig, als unsere Herzen das erste Mal brachen. Conny und ich waren Freunde.
Wer ich bin?
Ihr kennt mich. Spätestens seit dem Lied.
Seit dieser Lüge….
Denn eigentlich war alles ganz anders. Und jetzt, wo der Winter kommt, es früher Dunkel wird und der Regen auf nasses Laub fällt, dass am Straßenrand liegt, kommt alles wieder hoch und ich kann von Jahr zu Jahr schlechter mit diesem Geheimnis leben. Es bedrückt und verfolgt mich.
Ich möchte heute erzählen, was wirklich geschah.
Ich meine….. was WIRKLICH geschah!
Conny und ich waren auf dem Gymnasium. Es war 1972 und ich war 15. Er selbst war 16.
Die 70er waren toll, wenn man ein Kind war. Aber wenn man ein Jugendlicher war, war es trostlos und grau. Damals gab es im Ruhrpott noch Bergbau und es war verrußt, dreckig, nass und arm. Unsere Eltern versuchten uns so gut wie möglich durchzubringen. Meine Eltern waren einigermaßen gut situiert. Darum versuchte ich Conny so gut wie möglich durchzubringen. Wie oft ich ihn zum Mittagessen mit nach Hause schleppte, weil ich wusste, dass seine Eltern sich keines leisten konnten. Wir hielten zusammen, was immer auch kam.
Doch je älter wir wurden, desto mehr gingen unsere Interessen auseinander.
Conny begann sich für Krautrock und Hardrock zu interessieren. Ich selbst war eher…naja…ich mochte wohl normale Musik und Schlager. Ich war eher für Molltöne und alles, was die Welt an Sentimentalitäten mit sich brachte. Conny war von jeher rebellisch und voller Energie. Darum war dieses Rockerzeugs auch eher was für ihn.
Unserer Freundschaft tat das keinen Abbruch. Er lernte zwar neue Freunde kennen, aber es wurden auch meine Freunde und was immer auch kam – Conny und ich waren und blieben unzertrennlich.
Ob er nun Drogen nahm?
Wer tat das damals nicht. Wir tranken schon heimlich Bier und ganz ehrlich… ich weiß auch dass Conny tatsächlich Haschisch genommen hat. Ich auch… ein Mal… aber mir wurde nur schlecht davon.
Trotzdem: Es ist das eine, Bier zu trinken und Haschisch zu rauchen. Aber er war längst keiner von den Drogensüchtigen, die an der Bahnhofsmission ihre Körper für einen Schuß verkauften. Conny mochte Rockmusik und Mofas.
Doch dann kam dieser Sommer und mit ihm begann das ganze Drama.
Wer die 70er im Ruhrpott kannte, wusste, wie konservativ und religiös unsere Eltern waren. Sie hatten den Krieg erlebt und mussten sich in einer neuen Welt zurechtfinden. Sie flüchteten vor der Zukunft in das Gewohnte und auf die Holzbänke der Kirchen und Conny fand das alles Heuchlerisch. Er wollte daraus ausbrechen.
Er sagte immer: „Sie sind wie Rinder, die ihr Leben lang im Stall waren. Und nun öffnet man ihnen die Stalltür, damit sie auf die Wiese können und sie drücken sich im Dunkel aneinanderund trauen sich nicht hinaus.“
Conny traute sich hinaus.
Doch dann traf er den Jungen, der sich Damien nannte. Eigentlich hieß er Robert Hölzel, aber er fand Damien als Namen cooler. Er trug immer eine Sonnenbrille und eine Lederjacke. Und er gab Conny eine Kasette von Black Sabbath. Und seit er diese Kasette gehört hatte, veränderte Conny sich komplett.
Er ließ sich die Haare wachsen und trug, genau wie Damien, eine Lederjacke und er ließ sich sogar einen Ohrring stechen. „Links ist cool, rechts ist schwul.“, sagte er immer und grinste. Zuerst hatte er ihn links und dann…. eines Tages hatte er auch einen auf der rechten Seite. Zuhause bekam er dafür eine Tracht Prügel von seinem Vater und er musste ihn wieder rausnehmen, doch immer wenn Conny rausging, machte er ihn wieder rein.
Damien hatte einen schlechten Einfluss auf den ganzen Freundeskreis. Er nannte sich selbst „Sohn des Teufels“ und behauptete, dass er Verwandte hatte, die in einem schwarzen Zirkel waren. Und dass er okkulte Bücher zuhause hatte. Eine „umgedrehte Bibel“. So Zeugs halt. Damien war schon ein finsterer Typ.
Dann, irgendwann im Juli, als Sommerferien waren, fragte Damien uns, also Conny, Sascha, Tanja und mich, ob wir mit ihm zu einer alten, verlassenen Fabrik gehen wollen, die etwas außerhalb im Wald lag. Wir hatten schon davon gehört, uns aber nie getraut dorthin zu gehen. Aber Gruppe war es etwas anderes und wir packten etwas zu Essen und zu Trinken ein und fuhren mit den Mofas los. Ich saß bei Conny auf dem Sattel.
Ganz ehrlich… ob ich ihn liebte? Ich werde das immer wieder gefragt.
VIelleicht etwas. Keine Ahnung.
Ich war noch zu jung, um über so etwas nachzudenken.
Nach etwa einer dreiviertelstunde Fahrt kamen wir zu der alten Fabrik, die verlassen im Wald lag. Man erzählte sich, dass die Nazis dort Bomben gebaut hätten. Aber der alte Erich meinte, es war ein Zementwerk. Was immer es war… es war gruselig. Die Gebäude waren leer und dunkel und Bäume wuchsen auf dem Beton. Die Fenster waren herausgeschlagen und wir alle kannten die Geschichten, dass dort mal ein Penner ermordet worden sein sollte. Es war einfach eine alte Fabrikruine im Wald.
Damien sagte, als wir auf das Gebäude zugingen, dass sich dort bei Vollmond Satanisten träfen. Er wüsste das, weil er Insiderinformationen hätte. Vermutlich wollte er damit andeuten, dass er selbst ein Satanist war. Selbst wenn… das machte die Sache nur noch gruseliger und wir alle hatten ein mulmiges Gefühl, als wir die alte Ruine betraten.
Der Tag war grau und es regnete. Wir gingen in die Fabrik und genossen das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Wir spaßten herum. Conny, Sascha und Damien rauchten eine Haschisch-Zigarette. Ich tat nur so, als würde ich ziehen und lachte einfach mit.
Dann sagte Damien, er wolle eine Geisterbeschwörung machen und den Geist des toten Obdachlosen beschwören, von dem er wusste, dass er noch hier spuken würde.
Mir war unwohl dabei und eigentlich wollte ich das nicht. Ich glaubte schon an Jesus und den heiligen Geist und mit Geisterbeschwörungen sollte man nicht spaßen. Doch Conny und Sascha waren sofort bei der Sache. Bestimmt wollten sie einfach nicht als Memmen da stehen. Tanja und ich wollten eigentlich nicht, doch Sascha überzeugte uns.
Damian führte uns in einen dunklen, feuchten Keller. Es mussten schon früher Menschen dagewesen sein, denn in den Ecken lag Müll. Alte Flaschen, Kleidungsstücke, Papier…. und es stank. Damien sagte, dort wäre der Mann gestorben. Niemand wusste, wie er wirklich starb. Oder ob es ihn wirklich gegeben hat. Es gab die wildesten Geschichten darüber, doch Damien sagte, er wurde geopfert. Dem Teufel. in einem satanischen Ritual. Genau hier. Wir glaubten ihm damals alles, was er sagte. Damien hatte eine okkulte Autorität.
Er hatte eine Kerze dabei, zündete sie an und stellte sie auf den Boden. Wir stellten uns im Kreis drumrum und nahmen uns an den Händen. Conny stand neben mir und drückte meine Hand beruhigend. Es tat gut, dass er da war, aber es fühlte sich falsch an, was wir taten.
Damien befahl uns die Augen zu schließen.
Ich gruselte mich. Ich sags ganz ehrlich. Ich hatte immer das Gefühl, von hinten käme gleich jemand.
Damian sagte dann, wir sollten alles wiederholen, was er sagte. Ich spürte, dass Conny und Sascha das ganze nicht ernst nahmen. Sie zappelten herum und machten doofe Sprüche. Sascha icherte und feixte ab und zu. Bis Damien ihn anfuhr, er olle ruhig zu sein. Dann begann er die Beschwörung.
„Geist, Geist, komme!“, rief er und wir wiederholten es unsicher. Dann sagte er: „Ich befehle es dir mit der Macht des Teufels. Komme herbei aus dem Jenseits und sprich zu uns.“
Es war ganz still. Wir lauschten in die Dunkelheit.
Nichts geschah.
„Geist, Geist, komme!“, rief er wieder und wir wiederholten es. „Die Macht Satans, über die ich verfüge, befiehlt dir, zu uns zu kommen. Verlasse das Reich der Toten und sprich zu uns.
Seine Stimme hallte unheilvoll durch den Keller.
Dann fragte Damien in die Stille, ob er Geist anwesend war und damit begann das Schlamassel.
Ich kannte Conny nun wirklich lange und wusste, wie er tickte. Ich konnte an seinem Gesicht ablesen, wie er wann was meinte und oft reichte ein Blick von ihm und ich wusste, was er mir sagen wollte und als Damien fragte, ob der Geist des toten Bettlers anwesend war und Conny mit dumpfer Stimme „Ja, ich bin hier!“ sagte, wusste ich, dass es Spaß war. Es sollte einer seiner dummen Scherze sein.
Tanja schrie auf und rannte aus dem Raum. Ich glaube heute, es war eher Tanjas Reaktion, die das ganze verursacht hat. Denn hätte sie einfach gelacht, hätten alle gewusst, dass es ein Spaß war. Doch als Tanja schreiend hinaus rannte, erschrak sich Sascha und sprang unwillkürlich zurück und Damien… ja, Damien… auch er erschrak sich und schlug Conny dabei aus Reflex mit der Faust ins Gesicht.
Der taumelte zurück und schlug mit dem Kopf gegen die Betonwand. Er sackte auf dem Boden zusammen und hielt sich den Kopf.
Ich wollte natürlich sofort zu ihm laufen, doch Damien hielt mich zurück. „Er ist besessen. Von einem Geist!“, rief er. „Es ist gefährlich, sich ihm zu nähern.“ Ich bin mir heute nicht sicher, ob Conny nicht einfach eine Gehirnerschütterung hatte.
Ich war verunsichert. Ich wusste, Damien kannte sich mit dem Übernatürlichen besser aus als ich. Ich sah zu Conny. Im Kerzenlicht sah er schon irgendwie merkwürdig aus. Er murmelte etwas. Wir verstanden es nicht. Ich glaube, er sagte, dass es weh tut. Damien sagte, es ist der Obdachlose, der von seinem Mord erzählt. Konnte es vielleicht doch sein, dass Conny besessen war?
Sascha fragte, was wir tun sollen. Damien ging verzweifelt im Kellerraum auf und ab. Dann sagte er zu Sascha, er solle Conny festhalten. Er würde ihn Exorzieren. Er hatte mal ein Buch darüber gelesen und wusste wie das geht. Sagte er.
Ganz ehrlich? Ich glaube heute, dass Damien einfach ein Schnacker war, der noch nichts dergleichen getan und gelesen hatte. Dass er einfach ein Typ war, der sich wichtig machen wollte.
Sascha tat dennoch, wie Damien ihm befohlen hatte und setzte sich auf Connys Oberkörper. Mit den Knien drückte er seine Arme auf den Boden. Conny wand sich und schrie, er soll von ihm runtergehen. Ich versuchte Sascha von ihm zu ziehen, doch Damien hielt mich fest.
„Siehst du nicht, dass es der Geist ist?“, rief er immer wieder.
Dann stellte er sich neben Conny und begann lateinische Gebete aufzusagen. Ich verstand sie nicht. Conny kämpfte weiter darum, freizukommen.Er strampelte.
„Geh zurück, zu den Toten, Geist!“, rief Damien beschwörend und zitierte weiter Gebete.
Ich hatte Angst. Ich wusste nicht, was da gerade passierte.
Dann schaffte Conny es, sich unter Sascha herauszuwinden und freizukommen.
Damien schrie Sascha an, er soll Conny weiter festhalten. Wenn er freikäme, würde der Geist uns alle töten. Doch Sascha war nicht stark genug. Conny prang auf und schubste ihn um und stürzte sich auf Damien. Beide kämpften miteinander auf dem dreckigen Kellerboden.
Sascha sah mich erschrocken an. „Hilf ihm doch.“, schrie ich. Sascha verstand anscheinend, er soll Damien helfen, sprang auf und trat Conny gegen den Kopf. Der fiel in eine Ecke, in der eine Menge Müll lag. Er stürzte mit dem Gesicht hinein.
Damien und Sascha sprangen erschrocken zurück.
Im Halbdunkel der Ecke gab Conny ein gurgelndes Geräusch von sich. Es klang fürchterlich.
Ich packte Sascha am Arm und war verzweifelt. „Nun hilf ihm doch.“, habe ich gesagt. „Geh und hilf Conny.“
Sascha nahm die Kerze und ging vorsichtig auf ihn zu. Conny setzte sich gerade auf. Er hielt sich den Hals. Blut rann zwischen seinen Fingern hervor. Er sah mich geschockt an. Aus seinem Mund lief Blut und sein Atem rasselte. Dann nahm er die Hand von seinem Hals. Eine lange Scherbe hatte sich tief hieingebohrt und die Halsschlagader zerschnitten. Das Blut schoss schwallartig aus einem Hals. Im Takt seines Herzschlages. Er verblutete.
Damien wurde ganz bleich und sagte immer wieder „Oh Gott, Oh Gott, Oh Gott!“.
Und Conny wurde auf einmal ganz bleich. Er sah mich ein letztes Mal an. Es war das erste Mal, dass ich in seinem Blick nichts lesen konnte. Dann verdrehte er die Augen und sackte zusammen. Er lag bewusstlos auf dem Kellerboden. Sein Körper krampfte einige Male. Dann setzte sein rasselnder Atem aus.
Conny verblutete in diesem verdammten Keller und wenn der tote Obdachlose nur eine Geschichte war, so ging nun tatsächlich ein Geist im alten Zementwerk um.
Und nun? Wir waren Schuld daran, dass ein Mensch… mein bester Freund….tot war. Weil wir eine verdammte Geisterbeschwörung in einem verdammten Keller gemacht hatte und dabei jemand gestorben war.
Ich war 15 und hatte Angst. Wir alle hatten Angst. Angst davor, ins Gefängnis zu kommen. Wir hatten gerade jemanden vor unseren Augen sterben lassen. Zugesehen, wie er verblutet. Ohne ihm zu helfen.
Dabei begann unser Leben doch gerade erst. Ich wollte so gerne Studieren, eine brühmte Sängerin werden…. Sollte das alles heute vorbei sein?
Damien sagte zuerst, wir müssten die Leiche verstecken. Ihn auseinanderschneiden und vergraben. Doch dann überlegte er und meinte, es sollte lieber wie ein Selbstmord aussehen. Wenn man ihn fände und es aussähe wie ein Mord, würde man uns über kurz oder lang finden. Ein Unfall, oder Selbstmord wäre da besser. Er würde nach einige Tagen im Zementwerk gefunden werden und wir würden sagen, wir wären ohne ihn gefahren. Alles was wir brauchten, wäre ein gutes Alibi.
Und so schließt sich der Kreis.
Die Feder ist mächtiger als das Schwert. Versteht ihr?
Darum das alles. Darum dieses gottverdammte Lied.
Conny starb nicht bei einer Geisterbeschwörung. Er war ein Drogensüchtiger. Hört ihr doch im Song.
Und alle kondolierten und drückten ihre Anteilnahme aus und sagten uns, wie betroffen sie alle waren..
Doch ich kann nicht länger schweigen. Nicht länger mit dieser Lüge leben.
Darum habe ich das erzählt.
Jetzt geht es mir besser.
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