Cyberpunk Black Alert Bunny, die Schattendiebin

Warnung vor Creepypasta

ACHTUNG: VERSTÖRENDER INHALT

Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Text um eine Creepypasta handelt, die verstörende Themen beinhalten kann, wie zum Beispiel Gewalt, Sexualisierung, Drogenkonsum, etc. Creepypastas sind fiktive Geschichten, die oft dazu gedacht sind, Angst oder Unbehagen zu erzeugen. Wir empfehlen Ihnen, diesen Text nicht zu lesen, wenn Sie sich davon traumatisiert oder belästigt fühlen könnten.

ACHTUNG: Trigger-Warnung. Die unten aufgeführte Geschichte beinhaltet den abgründigen Horror der Jugendmisshandlung. Für welche die mit diesem Thema ein persönliches Problem haben, bitte ich diese Zeilen nicht zu lesen. Einige Textstellen könnten verstörend wirken. Die unten aufgeführten Ereignisse sind frei erfunden und spiegeln nicht die Ansichten/Neigungen des Autors wieder.

Cyberpunk Black Alert

Bunny, die Schattendiebin

I.

15. Juni 2077 – Harbor-Zone Im Bordell „Das Waisenhaus“. 23:15 Uhr Ortszeit….

„Komm schon, Kleines, zeige mir deine wohlgeformten Brüste…“, keuchte eine männliche Stimme leicht erregt ins Headset. Der junge Mann genoss offenbar das Angebot, was ihm in dieser Nachtbar angeboten wurde. Die Dienste, die hier beworben wurden, waren einzigartig in dieser von Neonreklamen überfluteten Stadt voller Korruption und strikter Klassentrennung. Man nannte es „Das Waisenhaus“ – es war ein Freudenhaus der Superlative, wo Jugendliche ihre Körper den Gods, eben den Höhergestellten dieser Stadt, zur Verfügung stellten; wenngleich auch mehr in dem internen virtuellen Cybernetz des Hauses, das die Leute dazu animierte, kontaktlosen Sex mit den Minderjährigen zu haben. Gäste konnten hier ihre beinahe krankhaften Triebe ungehemmt ausleben, solange es bei einem virtuellen Kontakt blieb. Wer das nicht wünschte, konnte sich an die Bar setzen und den Teenagern dabei zusehen, wie sie sich halbnackt dem Table-Dance hingaben und sich dabei einen erfrischenden Cocktail genehmigten.

Das Mindestalter der angestellten Kids im Bordell war fünfzehn Jahre, der älteste Jugendliche war gerade einmal achtzehn. Wer sich in diesem Hause den Gods zur Verfügung stellte, wusste meist nicht, worauf er sie sich eingelassen hatte. Den meisten war es nur wichtig gewesen, nicht auf den Straßen von Helligenstadt ums Überleben zu kämpfen. Die Besitzer des Waisenhauses boten den Ausreißern und elternlosen Kindern ein Leben an, das trügerisch besser war wäre, als in den U-Bahn-Schächten nach Essen zu suchen oder an öffentlichen Plätzen um Geld zu betteln. Erst nachdem sie dann hierher verfrachtet worden waren, ahnten sie langsam, was von ihnen für dieses „neue“ Leben verlangt wurde. Ob Jungs oder Mädchen, jeder fand seine Aufgabe im nobelsten Bordell der Stadt. Zwar bekamen alle ihr eigenes Zimmer, das Haus war eine gigantische Festung, doch fast jeden Abend mussten sie ihre Dienste verrichten. Entweder an der Bar, kaum bekleidet, als Tänzer oder Bedienung oder in einem Cyber-Raum, in dem sie dann eine Brille aufgesetzt bekamen, um mit einem Kunden sexuell zu interagieren. Dabei wurde der Verdienst größer, je mehr Gods sie an einem Abend „befriedigen“ konnten. Die meisten Jugendlichen waren unglücklich darüber geworden, fast jeden Abend ihren Körper zur Verfügung zu stellen, wenngleich es auch hin und wieder freie Tage gab, an denen sie sich frei bewegen und dabei vom Stress, den das Bordellleben mit sich brachte, erholen konnten.

Heute Abend hatte Viktoria Masterson, von Freunden auch liebevoll „Bunny“ genannt, Dienst. Es war abermals eine Runde im Cyber-Raum, wo sie sich auf einen Liegestuhl ausbreitete, Applikationen an Brüsten und Genitalien anlegte und zum Schluss die Kopfhörer nebst Cyberbrille aufsetzte. Der Kunde, der bereits angesprochene junge Mann, wahrscheinlich ein Sohn aus „gutem Hause“, der seine Lust nicht mehr länger zügeln konnte und auf kleine Mädchen stand, stöhnte leise in die Ohren von Viktoria, die ihm mit einer sanftmütigen und ruhigen Stimme gut zuredete, wie toll er doch eigentlich sei, und es ihr gefiele, wie er sich einen runterholte. Dabei simulierten die Apparaturen jede kleinste Interaktion mit ihrem künstlichen Gegenüber im virtuellen Netz. Wenn der Kunde mit seinem Avatar Viktoria unterhalb der Gürtellinie berührte, spürte sie einen leichten Druck im Genitalbereich, das gleiche galt für den Kunden, wenn sie ihn berührte und diverse Befehle zur Befriedigung eingab. Zwar durfte der Freier sein Aussehen frei wählen im Cybernetz, doch die Kids, die ihre Körper verkauften, mussten ihr wahres Aussehen präsentieren und durften sich keinen fremdartigen Avatar zulegen. Damit wollten die Betreiber mehr Authentizität schaffen, sehr zum Leidwesen ihrer minderjährigen Angestellten, denn somit erkannte man sie auf den realen Straßen dieser verkommenen Stadt wieder und sie hatten dadurch ihren Ruf als Callboy oder Callgirl inne. Wenn sie dann irgendwann das Waisenhaus verließen, blieb ihnen meist nichts Anderes übrig, als weiter in diesem Gewerbe zu arbeiten, denn ehemalige Waisenhausprostituierte hatten weder eine Ausbildung noch einen hohen gesellschaftlichen Grad. Das war vielen im Haus selbst klar. Praktisch hatten sie ihre Seele dem Teufel verkauft.

Viktoria hatte innerlich bereits beschlossen, einen Ausweg aus dieser abgrundtiefen Hölle zu finden. Sie wollte hier nicht weiter als Prostituierte arbeiten. Ein Leben in vollkommener Freiheit schwebte ihr vor. Das Stöhnen ihres Kunden wurde lauter und sie merkte zwischen ihren Beinen, dass der Druck immer heftiger wurde, sodass sie selbst auch aufstöhnen musste, was dieses Mal nicht gespielt war, und es war ihr schon beinahe unangenehm, selbst einen Orgasmus zu erleben. Ein letztes Aufstöhnen und der Avatar des jungen Mannes verschwand vor ihren Augen. Die meisten Gäste kümmerten sich nach dem Höhepunkt nicht weiter um die Kids und unterbrachen die virtuelle Verbindung augenblicklich. Smalltalk oder ein gutes Wort für die Jugendlichen hatte kaum jemand, der diesen Ort aufsuchte. Es waren arrogante Gods, die nur um ihr eigenes Wohl besorgt waren. Dies kam Viktoria nur Recht, denn sie konnte ihren innerlichen Hass gegenüber den großen Bossen des Osaka-Konzerns nicht mehr länger verbergen. Als sie ihre Cyberbrille absetzte, blickte sie in die Augen von Nik, der sie beobachtet hatte. Nik war auch ein Straßenkind gewesen und kam kurz vor ihr hier an – an diesem Ort der gesellschaftlichen Abgründe, dem Waisenhaus. Ein leichtes Schmunzeln konnte sie auf seinen Lippen erkennen.

„Deine blonden Haare sind ja ganz durcheinander – war der Kunde diesmal ein ungezügelter Dämon?“, fragte Nik ironisch.

„Hör auf mit dem Mist, Nik! Ich habe hier dem Arsch am anderen Ende wieder nur was vorgespielt, wenngleich ich auch…“

„…gekommen bin? Mach dir nichts draus! Manche Kunden lassen mich sogar zuerst…“

„Ja, ja… doch es ist nicht toll von dir, mich auch noch dabei zu beobachten. Lass das bitte in Zukunft!“, sagte Viktoria so vorwurfsvoll, dass Nik beschämt zu Boden blickte.

„Tut… tut mir leid. Wirklich“, erwiderte er bedrückt.

„Schon gut. Weshalb bist du eigentlich hier? Hattest du heute nicht deinen freien Abend?“

Nik blickte mit seinen tiefblauen Augen Viktoria an und sie konnte eine Erwartungshaltung in dessen Gesichtsausdruck erkennen. Einen Augenblick später holte er ein unscheinbares Paket hinterm Rücken hervor und hielt ihr es entgegen. Dabei fielen ihm seine schulterlangen, schwarzen Haare ins Gesicht, so dass sie nur noch seinen breit grinsenden Mund erkennen konnte, der den Satz aussprach: „Alles Gute zum Geburtstag, Bunny!“

Nur zögerlich ergriff Bunny das mit braunem Klebeband verschlossene Paket.

„Danke,“, sagte sie ein wenig schüchtern, „Das wäre aber nicht nötig gewesen, Nik – was ist es?“

„Na – mach es auf! Es wird auf jeden Fall zu deinem Spitznamen passen.“

Fast ungeduldig auf die Reaktion von Viktoria, beobachtete er sie, wie sie das Klebeband vorsichtig vom Karton löste. Eine Ewigkeit schien zu verstreichen, bis Viktoria das Präsent in Händen hielt.

„Eine…“, fing sie den Satz an, den Nik spontan beendete: „…Maske. Genau! Ich dachte mir, wenn du einen Kunden abermals beglücken musst, dann setze diese auf. Man hat uns zwar verboten, Avatare zu nutzen, doch von Masken hat Peter ja nichts gesagt.“

Während Nik sein Geschenk und den Grund dahinter erklärte, warum er es ihr gekauft hatte, musterte Bunny die Maske genauer. Es war eine Hasenmaske in neonfarbig gehaltenen Hasenohren. Sie war von der Grundfarbe her weiß und aus Carbon – mit einigen bunten Aufdrucken. Sie setzte die Maske auf und sah Nik direkt an.

„Na – wie sehe ich aus?“, fragte sie mit einem ironischen Unterton. Nick lächelte abermals. Es war eben dieses Lächeln, das sie an ihm so mochte. Sie waren sich gleich sympathisch gewesen und er half ihr immer dort, wo er es konnte. Insgeheim liebte er sogar Viktoria und ihre pragmatische Art und sie teilten den Zorn auf die Gods und auf Peter Lexington. Letzterer war ihr „Besitzer“ und Geschäftsführer des Waisenhauses. Ein etwas stark beleibter, gieriger Mittfünfziger, der seine Kids immer scharf unter Kontrolle hatte. Beide mochten ihn nicht besonders, was Peter auch wusste; deswegen behandelte er Nik auch immer abfällig und sorgte dafür, dass er die widerlichsten Kunden bekam, die sein Hinterteil mal so richtig durchnehmen konnten. Er beklagte sich nie darüber, jedenfalls nicht offiziell, denn das hätte seinen sofortigen Rauswurf aus dem Waisenhaus zur Folge und er müsste sein restliches Leben in irgendwelchen kalten und dunklen Schächten unterhalb der Stadt verbringen, wo es von Vergewaltigern und Drogendealern nur so wimmelte.

„Wann endet deine Schicht?“, frage Nik leise, sodass die Raummikrophone ihn nicht hören konnten.

„In etwa einer Stunde. Habe jetzt meinen Auftritt an der Bar. Hoffe nur, dass nicht allzu viele Penner heute meine Beine betatschen wollen.“

In diesem Moment kam Peter in den Cyber-Raum. In seinem Blick lag eine Mischung aus Wollust und Wut. Dabei fuchtelte er ständig mit einer Zigarre herum, die er die ganze Zeit und fast jeden Abend rauchte. Seine wässrigen, blutunterlaufenden Augen fixierten Nik, der erschrocken zurückwich.

„Hey, Nik!“, rief Peter zornig. „Du kannst dir gleich etwas Reizendes anziehen! George hat sich heute den Knöchel gebrochen. Der kleine Bastard hat es doch tatsächlich gewagt, die Medibots zu rufen, und ist nun im Krankenhaus. Der kleine Stricher wird mir das büßen, einfach so einen Kunden stehen zu lassen.“

Viktoria baute sich vor Nik schützend auf: „Nik hat heute seinen freien Tag, Mr. Lexington! Lassen sie ihn…“ Weiter kam Bunny nicht mehr, denn ein beherzter Schlag von Peter in das Gesicht der blonden Siebzehnjährigen unterbrach jede weitere Kommunikation. Nik eilte herbei und hielt Viktoria fest und sah in ihr gepeinigtes Gesicht.

„Schon gut…“, flüsterte er, „mache dir mal keine Sorgen um mich.“ Nik wandte sich zu Peter und versuchte dabei krampfhaft, einen ruhigen Ton zu bewahren.

„Wann soll es losgehen?“, fragte er.

Peter zog an seiner Zigarre und blies den Rauch direkt ins Gesicht seines Gegenübers. Dabei ließ er ein dreckiges Lachen verlauten: „Ha, ha, ha… wie wäre es mit JETZT!? Junge! Der Kunde hat noch nicht abgespritzt und möchte, dass du ihn im engen Lederoutfit beglückst. Der Cyberraum nebenan steht schon bereit für deinen Arsch.“

Mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck sah Nik noch einmal über seine Schulter zu Viktoria und zwinkerte ihr aufmunternd zu. Danach schnappte er sich eine Cyberbrille, Lederhose mit Nietengürtel und Halsband und verließ den Raum mit langsamen Schritten.

„…und was es dich angeht,“ begann Peter das Gespräch zu Bunny gewandt, „Wenn du noch einmal in einem solchen Ton mit mir redest, dann landet dein hübscher Körper in der Nordsee. Haben wir uns verstanden?“

Viktoria nickte nur stumm und wischte sich dabei die Tränen von der Wange. Peter beugte sich rüber und reichte ihr die Hand: „Kommt schon… braves Mädchen.“

Sie nahm die Hand von Peter nur mit Widerwillen an und ließ sich zur Tür führen. Sie wusste nur zu gut, wenn sie nicht das nette Girl spielen würde, dann konnte ihr dieser Bordellbesitzer das Leben überall zur Hölle machen. Deswegen verhielt sie sich von nun an passiv und eingeschüchtert.

„Viktoria – du bist doch meine kleine Bunny – du bist eine Goldgrube für mich und für meine Kunden. Jetzt gehst du da raus und zeigst deine schönen Kurven. Die Leute wollen dich sehen und du wirst es genießen – ok?“ – im Ton von Peter lag eine gewisse perverse Ironie und er sagte das allen Mädchen und Jungs, die ihm Geld einbrachten; auch jetzt war Peter eher gespielt freundlich zu ihr, denn er wusste, dass sie die Gods hasste, die Gäste hasste, dass sie ihn nicht mochte und alles, was mit dem Waisenhaus zu tun hatte.

Ein kleiner Klaps auf die Pobacken der blonden Ausreißerin und wenige Augenblicke später fand sich Viktoria auf einem der mit blauen Licht bestrahlten Tanztische wieder; umringt von den gierigen Blicken der Kunden vom Waisenhaus. Eine Menschenmeute, die nach ihr grabschte, um ein paar Pounds in ihren knappen Bikini zu stecken. Dabei konnte sie spüren, dass Peter Lexington sie unentwegt beobachtete, wie sie nach dem Technorhythmus der Bar auf dem Tisch ihre Tänze vollzog, während in einem Cyberraum ein gleichaltriger Junge durch die Applikationen der virtuellen Sexanlage heftige Schmerzen erdulden musste, die ein Kunde ihm ohne Unterlass und mit immer größerer Lust zufügte.

II.

16. Juni 2077 – Im Waisenhaus – 12 Stunden später…

„Ich will hier raus“, sagte Viktoria mit zittriger Stimme. Sie redete mehr zu sich selbst als zu irgendjemanden, der mit ihr das gemeinsame Mittagessen einnahm. Die Kantine war nur wenig besucht, denn viele ihrer Leidensgenossen hatten bis in die frühen Morgenstunden ihren Dienst vollziehen müssen. Das Bordell schloss immer erst gegen sechs Uhr morgens. Auch Peter hatte noch bis in die Früh „arbeiten“ müssen. Als sie an ihn dachte, füllten sich ihre Augen wieder mit Tränen. Er kam vor ein paar Stunden torkelnd und erschöpft in den Schlafraum. Sein Halsband hatte er noch nicht einmal abgelegt und ließ sich ermattet auf sein Bett fallen. Am gesamten Rücken hatte er blutige Striemen gehabt und als Viktoria ihn berührte, zuckte er vor Schmerz zusammen. In diesem Augenblick hatte sie sich dazu entschlossen, ihren gefährlichen Plan in die Tat umzusetzen und aus dem Waisenhaus zu verschwinden. Als sie den gepeinigten Körper von Nik gesehen hatte, wie er auf den Bauch lag, mit erschöpften Gesicht, konnte sie einfach nicht anders, als den Entschluss zu fassen, die Flucht heute noch zu ergreifen. Nik wollte sie auf jeden Fall hier nicht alleine lassen. Wenn sie fliehen würde, dann nur mit ihm. Irgendwie würden sie beide schon auf den Straßen von Helligenstadt zurechtkommen.

Die automatische Tür der Kantine öffnete sich und Nik kam herein. Seine schwarzen Haare waren noch ganz durcheinander und verdeckten den Großteil seines mageren Gesichtes. Mit Erstaunen konnte Viktoria erkennen, dass er es geschafft hatte, sich selbst ein rotes Shirt anzuziehen. An seinem Gang konnte sie nämlich erkennen, dass er noch immer recht wackelig auf den Beinen war und jede Bewegung ihn schon beinahe seine Kraftreserven kostete. Nachdem er ein Essens-Tablet ergriffen und mit mechanischen Handgriffen sich etwas vom Müsli genommen hatte, bewegte er sich langsam auf Bunny zu und setzte sich ihr gegenüber. Mit einer Handbewegung wischte er sich seine Haare aus dem Gesicht und versuchte dabei seine aufkommenden Rückenschmerzen mit einem schlecht geschauspielerten Lächeln zu verbergen.

„Keine Sorge, Bunny“ begann er das Gespräch, „…mir geht es gut. Habe mir gerade eine Schmerztablette eingeschmissen. Bis heute Abend wird alles wieder so sein wie vor dieser Nacht.“

Viktoria musterte ihn streng und nahm einen kräftigen Schluck vom Orangensaft, bevor sie ihm antwortete: „Das glaubst Du doch nicht wirklich, oder? Ich habe deinen Rücken gesehen!“

„Was ist mit meinem Rücken?!“, entgegnete Nik ihr ein wenig aggressiv. Dabei spuckte er einige Rosinenkerne vom Müsli auf den Tisch. „…ich habe dir gesagt, dass ALLES ok ist!“

„Das kannst Du deiner Oma erzählen, Nik!“, sagte Viktoria mit zornigen Unterton und so laut, dass schon einige andere Kantinenbesucher sie erschrocken ansahen.

„Kannst du das auch leiser sagen?“, flüsterte Nik ihr energisch entgegen: „Die Anderen tuscheln schon…“

„Mir egal,“ antwortete Bunny genervt. „ich möchte es einfach nicht mehr, verstehst du?“

„Was?“

„Peter – er wird dich noch zu Tode kommen lassen, wenn es so weitergeht. Ich habe einfach Angst um dich.“

Erst jetzt erkannte Nik die geröteten Augen von Bunny, die ihn beinahe mitleidsvoll ansahen. In ihrem Gesichtsausdruck lag eine Welle äußerster Besorgnis. Er bemühte sich um eine ruhige und sachliche Stimme, wenngleich er es selbst kaum noch aushalten konnte, noch länger im Waisenhaus zu verweilen.

„Du musst keine Angst um mich haben…“, sagte er zögerlich und mit fürsorglicher Stimme. „Ich komme schon klar. Das mit meinem Rücken wird schon wieder werden…“

„Das ist es ja gerade. Es passiert immer wieder. Ich will das einfach nicht mehr. Nik – wir müssen hier raus“, den letzten Teil ihres Satzes gab sie nur noch im Flüsterton wieder und Nik musste sich vorbeugen, um sie genauer zu verstehen.

„Was… was hast du vor?“, fragte er neugierig und ebenfalls im Flüsterton.

Viktoria blickte sich um. Erst nachdem sie festgesellt hatte, dass niemand sie beide beobachtete und sie sichergehen konnte, dass keiner ihr Gespräch belauschte, fuhr sie weiter fort:

„Heute Nacht wird es passieren. Ich fange meinen Dienst um sieben Uhr an. Du hast eine Stunde später Dienst, so wie ich es auf der Anzeigentafel heute erkennen konnte.“

„Ja,“ warf Nik lässig ein – „der alte Peter hatte mich für den Bardienst heute eingeteilt. Ich soll diesmal oberkörperfrei und mit zerrissener Jeans die Gäste bedienen. Also kein schwerer Job heute.“

„Sei bereit, Nik! Ich werde heute im Cyberraum, kurz vor Neun, ein wenig Stress machen, sodass Peter sicher wieder wutentbrannt hereinstürmen wird, um mich abermals fertig zu machen. Ich kenne ihn nur zu gut – eher würde er seine Angestellten verprügeln, als einem Gast einen Vorwurf zu machen.“

Sie konnte eine erstaunte und zugleich bedachte Gesichtsregung ihres Gegenübers erkennen. Nik war es offensichtlich nicht wohl dabei, Bunny in dieser Situation zu wissen, wenn sie einem Gast Stress machte, sodass Peter Lexington sich ihrer annahm. Doch mit einer leichten und zugleich mehr als sanften Handbewegung auf dessen Schulter versuchte Viktoria ihn zu beruhigen.

„Ich kann das gut – glaube mir, Nik. Es wird mir nichts passieren.“

„…und weiter? Was soll dann passieren, wenn dieses Schwein von Geschäftsführer den Cyberraum betritt und anfängt, dich zu misshandeln?“

Noch einmal blickte sich Viktoria um und sah danach tief in die blauen Augen ihres Freundes.

„Er wird nicht richtig dazu kommen. Du wirst an der Bar sein und den Feueralarm betätigen.“

„WAS?!“, fuhr es aus dem Munde von Nik.

„Psssst… das gehört zum Plan. Der Alarm wird losgehen und es wird einigen Tumult geben. Gäste werden wie von der Tarantel gestochen das Gebäude verlassen wollen. Auch Peter wird das mitbekommen und sich wieder den anderen Gästen widmen und nach dem Rechten sehen wollen.“

„Ich verstehe nicht, wie uns dies zur Flucht verhelfen soll.“

„Aktiviere einfach um neun Uhr den Alarm! Der Zeitpunkt muss exakt sein. Denn ich habe Peter dann in dieser Minute vor mir. Er wird die Sirenen hören und sich unwillkürlich umdrehen. In diesem Moment werde ich ihn mit diesem Teil hier dort reinstechen, wo es ihm am meisten Schmerz bereiten wird.“

Mit diesen Worten offenbarte Bunny Nick einen spitzen Schraubenzieher, der circa dreißig Zentimeter lang war. Sie erkannte den fragenden Blick ihres Gegenübers und setzte spontan zur Antwort an:

„Ich habe den Schraubenzieher vom Hausmeisterbüro mitgehen lassen. Der Penner von Hausmeister wird es vor heute Nacht nicht bemerken, dass dieser fehlt. Es ist die perfekte Waffe, um…“

„…Peter seinen…“, unterbrach Nik etwas schockiert. „Oh Gott… Bunny… das ist gefährlich. Er könnte…“

Ein Schmunzeln auf den Lippen der jungen Blondine verriet Nik, dass sie alles ganz genau durchdacht hatte.

„Hey hey… alles gut. Ich werde ihn nicht töten. Das Schwein hätte den Tod schon verdient, nach allem, was er dir und mir angetan hat; doch ich habe eine persönliche Abneigung gegen Mord. Er wird dafür lediglich leiden, und das für den Rest seines Lebens.“

Sie sagte dies so gefasst, dass es Nik beinahe die Sprache verschlug. Viktoria war entschlossen, dieses verfluchte Haus der Pein und Perversität zu verlassen. Alles setzte sie von nun an auf eine Karte, um die Freiheit für sich und ihn zu erreichen.

„Was passiert dann? Ich meine, nachdem du Peter… hmm… du weißt schon…“

„Ich laufe zur Bar. Mit etwas Glück wird das allgemeine Caos etwas andauern, sodass wir schnell auf unsere Zimmer gehen können, um unsere Sachen zu holen. Alles muss perfekt ablaufen. Nebenbei möchte ich dich bitten, nach dem Ausbruch der Unordnung einen etwas tieferen Griff in die Kasse zu machen. Wir werden das Geld brauchen, verstehst du?“

Ihr Gegenüber nickte nur stumm.

„Gut so“, sagte sie zufrieden. „Wenn du ein paar Pounds hast, werde ich vermutlich schon bei dir sein und wir werden schnell unsere Sachen holen und das Gebäude verlassen. Danach können Sie uns mal am Arsch kratzen.“

„Ich denke, das werde ich hinbekommen. Hoffe nur, dass dein Plan auch glücken wird.“

„Er wird glücken – vertraue mir!“

Ein letzter Blick, ein leichter Kuss auf die Wange von Nik signalisierten das Ende dieser geheimen Unterredung. Mit einem gespielt gelassenen Gang verließ Viktoria die Kantine und ließ Nik mit seinem Müsli alleine. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es mittlerweile halb Eins war. Noch ein paar Stunden und sie würden dieses Waisenhaus verlassen. Noch ein paar Stunden trennten sie beide von der Freiheit, einem künftigen Leben voller neuer Abenteuer. Innerlich war Bunny nervös, beinah panisch. Sie wusste es nur zu gut: ein Fehler, und ihr Leben wäre Geschichte. Zum Glück konnte sie Nik Gelassenheit vorspielen, wenngleich sie innerlich alles andere als ruhig war.

III.

16. Juni 2077 –  20:51 Uhr Ortszeit…

„Du bist aber ein echt scharfes blondes Mädchen“, drang es durch die Kopfhörer von Bunny. Es war einer der widerlichsten Typen, den sie seit Wochen „beglücken“ sollte. Notgedrungen musste sie diesen Kunden hinhalten. Es waren weniger als zehn Minuten, bis dass der Alarm ertönen würde. Sie spürte den moderaten Druck auf ihre Brüste. Der Typ betatschte virtuell ihren Busen und ein Hecheln war klar und deutlich von Seiten des Kunden zu vernehmen. Ein Geräusch, das die Abscheu in Viktoria nur noch steigerte.

20:53 Uhr Ortszeit…

Nik war gerade dabei, einige Cocktails zu servieren. Immer wieder sah er rüber zur hell erleuchteten Uhr in der Eingangshalle. „Hey Boy!“, rief eine kratzige Stimme. „…du kleiner, schwarzhaariger Boy… komm mal her!“

Nik gehorchte. Er wusste nur zu gut, dass er den Gästen keinen Befehl oder Bitte abschlagen durfte. Dies würde Stress bedeuten. Stress, der viel zu früh kommen würde und gerade heute, in dieser Nacht, mehr als unpassend gewesen wäre.

20:54 Uhr Ortszeit…

„Ja, lasse mich deine Zunge spüren!“, rief der Kunde in das Ohr von Bunny, die weiterhin nur widerwillig den Anweisungen gehorchte Zum Glück war es nur virtuell, doch je mehr sie sich den Gelüsten ihres „Sexpartners“ hingab, desto langsamer verstrich die Zeit. Jede Minute schien eine Ewigkeit zu dauern. Eine Ewigkeit, die geprägt war vom Gefühl absoluten Ekels und Abscheu.

20:55 Uhr Ortszeit…

„Dein Schwanz in der Jeans scheint sich ja zu freuen, mich zu sehen“, sagte der elegant gekleidete Gast zu Nik und leckte sich dabei genüsslich über die Lippen. „Hast Du nachher Bock, im Cyberraum aktiv zu werden?“

Es war eine Frage, die nur leise an das Gehör des jungen Nik drang. Innerlich wusste er, dass der Gast ein „Ja“ erwartete. Doch dessen Geilheit konnte seine Antwort nicht abwarten, sodass der Kunde auf ihn zustürmte und seinen Hintern fest umklammerte.

„Warum warten? Lass es uns jetzt virtuell machen – ja?“

20:57 Uhr Ortszeit….

„Oh – du bist so süß! Ich möchte jeden Zentimeter deines Körpers abtasten!“ Voller Wollust sprach der Freier Bunny an, die es nicht mehr länger ertragen konnte, ihm zu Diensten zu sein. Daher fasste sie den Entschluss, ihren Plan jetzt anlaufen zu lassen. Mit einem beherzten Fußtritt in die Genitalien ihres virtuellen „Eindringlings“ beendete sie schmerzhaft die ekelerregende sexuelle Interaktion. Ein markerschütternder Schrei drang nun durch ihre Kopfhörer, sodass sie intuitiv das Headset abnahm und in die Ecke warf. Hastig entfernte sie die Applikationen und die Cyberbrille und zog ihre Sachen an – nun hoffte sie, dass Peter Lexington diesen Vorfall mitbekommen hatte und sie nun unverzüglich aufsuchen wollte.

20:58 Uhr Ortszeit…

„Ich kann jetzt nicht!“ sagte Nik entschieden und sah nervös zur Uhr. Jeden Moment würde wohl Peter Viktoria aufsuchen, während der Gast nicht lockerließ und ihm tief in die Augen sah.

„Du willst es doch auch jetzt… oder?“, sagte der elegante Typ mit einem gierigen Unterton.

„Ich kann wirklich nicht“ sagte Nik schon beinahe flehend und ließ dabei ein Cocktailglas fallen.

„Scherben bringen Glück“ , spottete Niks Gegenüber und hielt dessen Pobacken noch fester umklammert, sodass er sich aus dem Griff nicht befreien konnte.

In der gleichen Minute im Cyberraum….

Mit einem lauten Poltern öffnete sich die Tür zum Cyberraum, Peter kam mit einem roten Gesichtsausdruck herbeigeeilt und sah voller Anspannung Viktoria an. Dabei ließ er seine Zigarre auf den Teppichboden des Raumes fallen. Er sprach kein einziges Wort. Stattdessen verpasste er dem Mädchen eine saftige Ohrfeige und spuckte auf sie nieder, als sie zu Boden ging.

„Hast du dies für witzig gehalten? Undankbare Göre!“, mit diesen Worten trat er gegen die Rippen der jungen Bunny und zerrte sie zurück in den Cyberstuhl.

„Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du wünschen, niemals hier hereingekommen zu sein. Verdammte Schlampe!“, noch eine Ohrfeige. Viktoria ließ dies alles über sich ergehen. Es war nur noch eine Minute bis neun Uhr. Sie dachte an Nik und an die gemeinsame Freiheit.

20:59 Uhr Ortszeit…

„Ich komme später noch einmal zu ihnen, ok?“, versicherte Nik dem aufdringlichen Gast, der ihn noch immer fest umklammert hielt. „Ich muss nur das Tablett zur Bar zurückbringen.“

Fast argwöhnisch musterte der Kunde den kleinen Ausreißer. Dann ließ er vom Körper des Jungen ab. „Nun gut – ABER… lasse mich nicht allzu lange warten mein, Süßer. Ich buche Raum 101. Du hast fünf Minuten…“

Innerlich war Nik erleichtert gewesen, diesen Typen los zu sein. Es würde kein weiteres Wiedersehen geben. Denn jetzt war die Stunde gekommen, in der er den Alarm betätigen würde. Es war die Stunde der Freiheit, die Stunde der Befreiung.

Schnellen Schrittes hechtete er zur Bar, vorbei an arglosen Gästen, die den Table-Dancern hinterherpfiffen. Er warf das Getränke-Tablett untern den Tresen, sehr zur Verwunderung einiger Kunden, die ihn nur ungläubig anstarrten. Nik nahm ein Handtuch, legte es um die Knöchel seiner Hand und schlug gegen eine Scheibe, hinter der sich ein roter Knopf befand. Es war nur der Moment eines Augenblicks und schon war dieser gedrückt und ließ die Alarmsirenen ertönen.

Während die Gäste zunächst wie elektrisiert und starr vor Schreck sich gegenseitig ansahen, öffneten sich die Notausgangstüren automatisch und rotes Licht überflutete die Innenräume. Erst nachdem jemand in der Menge das Wort „Feuer!“ ausrief, brach das grenzenlose Caos aus. Die Gäste liefen wild hin und her. Einige verließen fluchtartig die Cyberräume, entweder halbnackt oder noch mit ihren Brillen, die sie auf ihrer Flucht achtlos aus den Wänden gerissen hatten.

„Die Kasse!“, schoss es Nik durch den Kopf. Er rannte rüber zur Barkasse und öffnete diese mit einer geübten Handbewegung. Anscheinend hatten er und Bunny Glück – sie war an diesem Abend besonders gefüllt und Nik konnte sich ein leises Lachen, welches im Trubel total unterging, nicht verkneifen.

21:00 Uhr Ortszeit….

„Du verdammtes Flittchen – ich werde dir einen Denkzettel verpassen, den du niemals mehr vergessen wirst!“, sprudelte es vor Wut aus Peter, der Viktoria noch immer auf dem Cyberstuhl festhielt und fortwährend schlug.

Dann hörte sie, wie aus einem aufkommenden Traum, die Sirenen der Feuerwarnanlage, kurz darauf sah sie das rot werdende Licht. Wie in Zeitlupe drehte sich Peter erschrocken um und sah in Richtung Ausgang. So wie es Viktoria erhofft und geplant hatte. Heimlich und unbemerkt von ihrem Peiniger zog sie den spitzen Schraubenzieher aus einem ihrer Stiefel. Dass Peter breitbeinig über sie gebeugt auf dem Cyberstuhl saß, begünstigte nur ihr Vorhaben. Es würde nur eine Sekunde dauern und der Bordellbesitzer würde seinen Denkzettel für alle Zeit erhalten. Ein Lächeln zierte nun das Gesicht der jungen Frau und voller Siegesgewissheit richtete sie den Schraubenzieher auf ihr Opfer.

„Was sehe ich da? Her damit, du verdammte..!“ Entsetzt über die Schnelligkeit von Peter, konnte es Bunny kaum fassen, dass dieser es noch rechtzeitig bemerkte, was sie vorhatte. Mit einer groben Handbewegung entriss er dem Mädchen den Schraubenzieher und musterte diesen mit einem Gefühl von Zorn und zugleich triumphaler Euphorie.

„Was…“, fragte Peter mit einem erregten Ton, „…hast du damit wohl vorgehabt?“ Er grinste breit und richtete die Spitze des entrissenen Gegenstandes nun auf Viktoria.

„Wie würde es dir gefallen, wenn ich eine deiner Brüste damit durchbohren würde?“, hämisch und weiterhin feixend blickte er auf sie herab. Das rote Licht gab der ganzen Szenerie eine wahrhaft wahnsinnige Atmosphäre.

Viktoria hörte die letzten Worte nur noch schemenhaft. Ihr Plan verwandelte sich zu einem Desaster. Es gab keine Rettung mehr. Nik würde vergebens auf sie in ihrem gemeinsamen Zimmer warten. Er würde, ebenso wie sie, dafür bestraft werden. Die lang ersehnte Freiheit schien nun wieder in weite Ferne gerückt zu sein. Sie schloss die Augen und erwartete den unerträglichen Schmerz, der bald kommen würde.

Im Getöne der Sirenen vernahm sie ein kaum wahrnehmbares Geräusch. Anstelle des Schmerzes hörte sie nun einen Aufschrei und zersplitterndes Glas. Einen Wutausbruch. Die schreiende Stimme von Peter Lexington und den Aufschrei von einer weiteren bekannten Stimme – es war Nik! Ruckartig riss sie die Augen wieder auf und erhob sich aus dem Stuhl. Peter kämpfte gegen ihren Freund, der in den Cyberraum gekommen war, um ihr zu helfen. Sie erkannte, dass sich Peter mit einer Hand das rechte Auge zuhielt und sich immer wieder schreiend vor Schmerzen auf Nik stürzte. Doch der konnte stets im letzten Moment ausweichen und versetzte dem Bordellbesitzer somit immer weitere Schläge. Dabei hielt Nik die achtlos weggeworfene Zigarre noch weiter in Händen, die Peter zuvor hatte fallen lassen. Bunny ahnte schon, was passiert war. Nik hatte doch tatsächlich die Glut der Zigarre dazu benutzt, um das Auge ihres Peinigers zu verbrennen.

In all dem Durcheinander fiel ihr Blick auf den Schraubenzieher, der unweit von ihr auf dem Boden lag. Sie stand auf und nahm das Werkzeug an sich, während die beiden Männer noch immer miteinander kämpften.

„Dass du kleiner Pisser es wagst, mich anzugreifen! Das wirst du mir büßen. Ich werde dein Auge ebenso verbrennen, wie du es mit meinem gemacht hast!“, schäumte Peter vor Wut.

„Dafür musst du mich erst einmal erwischen – ARSCHLOCH!“, schrie Nik spöttisch.

„Hey PETER!“, rief Viktoria ihrem ehemaligen Chef zu. Dieser drehte sich verwirrt zu ihr um und sah sie entsetzt mit dem einen noch verbliebenen Auge an. Bevor er reagieren konnte, hatte Viktoria ihm die Spitze des Schraubenziehers in die Genitalien gerammt und wiederholte dieses mit wachsender Begeisterung. Blut spritzte aus Peters Hose und verteilte sich großzügig im gesamten Raum. Nik eilte herbei, während Peter niedersank, und hielt Viktoria gerade noch rechtzeitig davon ab, ein weiteres Mal auf diesen einzustechen.

„Viktoria! Lass ihn! Höre auf! Du bringst ihn ja um!“, fast verzweifelt stemmte sich Nik gegen die enorme Kraft Bunnys, die wie ein Berserker auf den blutenden Körper von Peter Lexington starrte. In ihrem weichen Gesicht befanden sich Blutspritzer. Erst nachdem Nik es geschafft hatte, ihr den Schraubenzieher zu entreißen, hielt sie inne und konnte sich einigermaßen, den Umständen entsprechend, beruhigen.

„Nik“, flüsterte sie in sein Ohr, „was habe ich getan?!“

„Das, was du immer getan hast, Bunny“, sagte Nik ruhig, „Du versuchst, immer wieder zu überleben.“

Im Schutze des Aufruhrs und der Panik unter den Gästen, die noch immer wild hin und her liefen, packten Nik und Viktoria ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und gingen in die Eingangshalle des Waisenhauses.

Peters Schmerzensgeschrei konnte man selbst durch das Sirenengeheul klar wahrnehmen, es waren Ausdrücke des Hasses auf Viktoria und Verdammnis erweckende Flüche, die der Bordellbesitzer ohne Unterlass von sich gab. Nik konnte regelrecht spüren, dass Viktoria diese Klagelaute geradezu genoss, ja sogar auskostete, denn sie hielt noch für einen Moment inne, bevor sie den Haupteingang des Hauses erreichten. Auf den fragenden Blick ihres Begleiters gab sie belustigt eine Frage zum Besten: „Was denkst Du? Wird er es überleben?“

„Ich habe keine Ahnung. Doch das sollte uns jetzt nicht mehr kümmern.“

„Ah – ich hoffe schon, dass er das überlebt. Denn er wird sich für den Rest seines Lebens an uns erinnern. Die künftige Augenklappe und seine verstümmelten Genitalien werden ihn immer daran erinnern, dass du und ich es ihm heimgezahlt haben“, dabei ließ Viktoria ein schrilles Lachen ertönen, welches noch laut genug war, um den Feueralarm zu übertönen.

Nik trat einen Schritt auf sie zu und berührte ihre Schulter: „Es wird Zeit. Wir müssen los. Jeden Moment wimmelt es hier nur so von Feuerwehrleuten und Polizisten.“

Viktoria schulterte ihren Rucksack und drehte sich zu ihren Freund um. In dessen blauen Augen lag tiefe Ehrlichkeit und das Gefühl von Liebe, welche sie ebenso für ihn empfand. Das erste Mal seit langer Zeit hatte sie einen Menschen liebgewonnen, der womöglich alles für sie tun würde.

Nik ergriff ihre Hand und führte sie zum Eingang. Da draußen wartete nun eine Welt voller weiterer Gefahren, aber auch eine Welt voller Hoffnung. Eine Welt von Chancen und Zuversicht. Es war ihre Welt – die Straßen von Helligenstadt.

ENDE

Hinweise

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